Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verändern sich schleichend, aber zielstrebig die Kommunikation und Strategie der politischen Akteure in der Bundesrepublik weg von Frieden und Verteidigung hin zu Kriegstüchtigkeit. Das Militär soll künftig über zivile Strukturen verfügen können.
Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit trat am 01.01.2025 die Rahmenrichtlinie zur Gesamtverteidigung, die vom Bundeskabinett neu verfasst wurde und den sogenannten Operationsplan Deutschland beinhaltet, in Kraft – ein tausendseitiger Strategieplan, erarbeitet unter der Federführung der Bundeswehr. Er legt die verpflichtenden zivilen Unterstützungsleistungen für das Militär im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung fest. Die Details unterliegen der Geheimhaltung.
Fast täglich hören, sehen und lesen wir, wie wichtig es sei, uns angesichts des aktuellen Weltgeschehens auf einen Krieg vorzubereiten. Allerdings wird das Wort „Krieg“ nur vage genutzt, die Politik spricht von Katastrophen.
Die Grenzen zwischen zivilen Katastrophen im Frieden einerseits und Krieg andererseits werden in der nationalen Sicherheitsstrategie verwischt. Es gibt nur „Katastrophen“, „Krisen“ „Konflikte“, „Gefahrenlagen“ und „Bedrohungsspektren“. Alles ist „Katastrophe“: die Pandemie, der Waldbrand, das Chemieunglück und der Atomkrieg.
Gleichzeitig wird die Illusion genährt, es stünde in solchen Situationen ausreichend medizinische Hilfe zur Verfügung. Doch die wird es nicht geben – weder bei einem konventionellen Krieg noch bei einem Atomkrieg.
Zusätzlich wird es bald ein Gesundheitssicherstellungsgesetz geben, was schon unter Prof. Lauterbach im Bundesministerium für Gesundheit vorbereitet wurde. Es soll die umfassende Vernetzung ziviler und militärischer Akteure unter der Federführung des Militärs regeln.
Alle Sicherstellungsgesetze, die immer mit Grundrechtseinschränkungen der Bevölkerung einhergehen, können erst nach Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalles „entsperrt“ werden. Dazu benötigt man eine 2/3 Mehrheit im Bundestag.
Dieses Gesetzesvorhaben wird in der Öffentlichkeit kaum zu Kenntnis genommen. Es würde jedoch zu einer völligen Umkehr der humanitären Hilfe für die Bevölkerung führen: weg von ethisch-medizinischen Entscheidungen gemäß der Devise „es bekommt der zuerst Hilfe, der sie am dringendsten benötigt“, hin zu einer Priorisierung von leicht verletzten Soldat*innen, damit diese schnell wieder einsatzfähig sind.
Wenn wir unsere Gesundheitsversorgung im Sinne einer „zivil-militärischen Zusammenarbeit“ mit der Bundeswehr verzahnen und unter militärische Kontrolle bringen lassen, dann fällt auch unser humanistischer Anspruch. Im „Ernstfall“ zählen menschliche Leben nicht länger gleich.
Es muss heute und zukünftig von allen Bürger*innen als auch von allen Beschäftigten im Gesundheitswesen klargestellt werden, dass die Entscheidungen zur Versorgung von Erkrankten ausschließlich nach medizinischen Kriterien zu treffen sind.
Nun erstellte die Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr, der Berliner Krankenhausgesellschaft und zwölf Berliner Kliniken auch noch ein 28-seitiges Arbeitspapier: Der „Rahmenplan für die Zivile Verteidigung im Bereich der Berliner Krankenhäuser 1.0“.
Der Rahmenplan ist nicht veröffentlicht worden. Es gab lediglich eine Informationsveranstaltung, in der vage von dieser Planung berichtet wurde. Im Oktober wurde das Arbeitspapier jedoch an zwei Zeitungen geleakt, sodass wir nun einsehen können, was der Senat und die Bundeswehr zusammen mit den Kliniken in Berlin planen.
Aus unserer Sicht, als auch aus Sicht des Verein Demokratischer Ärzt*innen (vdää*) können einen die dortigen Inhalte nur erschrecken und besorgt machen. Es geht um
- die Erwägung von so genannter „umgekehrter Triage“, bei der in Krankenhäusern geringfügig verletztes militärisches Personal Vorrang vor Schwerstverletzten und Zivilist*innen bekäme, um Soldat*innen schnellstmöglich wieder einsatzfähig zu machen
- eine offene Diskussion über das Sterbenlassen Schwerstverletzter bzw. sogenannter „hoffnungsloser“ Patient*innen
- eine Umstellung von „Individualmedizin auf Katastrophenmedizin“ mit der Folge, dass Interessen Dritter (z.B. des Militärs) über das Wohl der Patient*innen gestellt werden
- die Benennung von akut erkrankten Menschen aus Pflegeeinrichtungen als Störfaktoren in der Notaufnahme (also z.B. alte Menschen, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit psychischen Erkrankungen)
- die Erwägung, elektive – das heißt medizinisch notwendige, aber aufschiebbare – Eingriffe einzustellen
- die Abgabe weitreichender Befugnisse in Krankenhäusern an Behörden und Militär
- eine maximale und unrealistische Personalrekrutierung u.a. durch Datenschutzabbau im Krankenhaus („Analyse des Personals“), Widerruf von Nebenerwerbserlaubnissen, Rekrutierung von Personal im Ruhestand, Rekrutierung von Verwaltungsbeschäftigten des Landes Berlin zu „Pflegeunterstützungskräften“.
Das Schlimmste daran ist aber, dass der Bevölkerung einerseits glaubhaft versichert wird, dies sei der einzige Weg, um unser Land und die Demokratie zu sichern. Zugleich wird unter größten Anstrengungen verschwiegen, in welchem Ausmaß diese politisch-militärischen Eingriffe unsere Persönlichkeitsrechte und unsere freiheitlich, demokratischen Werte bedrohen.
Wir dürfen das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren!
Wir müssen kritisch bleiben angesichts einer Kriegsmaschinerie, die Milliarden Euro verschlingt, welche dann im Sozialen eingespart werden. Eben das wird unsere Sicherheit, unser solidarisches Miteinander und unsere Demokratie gefährden.
Wesentlich ist, alles zu tun, um Kriege zu beenden und zu verhindern!
Im Krieg gibt es nichts zu gewinnen. Jeder Krieg ist eine Niederlage für die Bevölkerung, die unter den grausamen Folgen leidet und gezwungen wird, für den jeweiligen Staat zu kämpfen.
Niemals sollten wir glauben, dass die Interessen einer Bevölkerung mit denen des Militärs deckungsgleich sind.
Angesichts eines unterfinanzierten Gesundheitssystems, bestimmt von Profitorientierung und Fachkräftemangel, erscheint es absurd, Kriegsszenarien durchzuspielen und einzuüben. Es stehen nicht einmal genug Ressourcen zur Verfügung, um die gegenwärtige Gesundheitsversorgung gut zu gewährleisten.
Demokratie muss man wollen und man muss stetig an ihr arbeiten. Dafür braucht es kritische Bürger*innen, die sich nicht von Militärstrateg*innen und wortgewandten Politiker*innen unsere Freiheit und unsere Sicherheit im Namen einer fraglichen Wehrhaftigkeit abkaufen lassen.
Als Bündnis für ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen sind wir der Ansicht, dass jeder Mensch den gleichen Wert hat und auch in Krankheit gleichwertig versorgt werden muss.
Für Freiheit, Frieden und Demokratie braucht es einen sozialen Staat, in dem sich alle sicher und gut versorgt wissen.