Lebensnotwendige Güter sind teurer geworden und die Mieten steigen, ohne dass sich die Einkommen in gleicher Weise erhöhen.

Die öffentliche Infrastruktur ist marode. Von der Bahn über Kitas, Schulen und Straßen zeigt sich der Verfall und macht auch vor Krankenhäusern nicht Halt. An allen Ecken und Enden – sei es für Bildung, Gesundheitsversorgung, soziale Arbeit, Kultur… – fehlt das Geld und Frust macht sich breit.

Offenkundig läuft etwas falsch. Und scheinbar sind sowohl die Schuldigen als auch die Lösungen für praktisch alle Probleme bereits gefunden: Neben den Menschen ohne deutschen Pass, die sowieso für alles herhalten müssen, sind es nun einmal mehr die Faulen, die sich auf Kosten der Fleißigen ein schönes Leben machen. Den Faulenzer*innen Dampf zu machen und Sozialleistungen zu kürzen, ist das angebliche Erfolgskonzept.

Ein perfektes Ablenkungsmanöver. Denn während sich die Menschen die Köpfe heiß reden über das angebliche Zuviel für Erwerbslose, Arme, Kranke und Geflüchtete, können sich die Reichen und Mächtigen hemmungslos weiter bereichern.

Sind Einkommen nur hoch genug, gelten deren Bezieher*innen automatisch als „Leistungsträger*innen“. Kaum jemand fragt danach, wie viel sie dafür arbeiten – oder ob überhaupt. Sie tun es eher nicht, denn ihre Einkommen sind weit überwiegend leistungslos.

Wenn Empfänger*innen von Sozialleistungen mehr Hilfen beziehen, als ihnen rechtlich zusteht, folgt sofort ein vielstimmiger Aufschrei. Betrügen aber Überreiche die Gesellschaft um viele Milliarden, herrscht dröhnendes Schweigen.

Zahlreiche Stimmen fordern Gesetze und Maßnahmen, um die Menschen, die sowieso schon ganz unten sind und es am schwersten haben, zu diffamieren, zu kontrollieren und zu disziplinieren.

Dieselben Stimmen aber sagen nichts, wenn der Staat Milliarden-Forderungen gegen Steuerbetrüger*innen – wie bei Cum-Ex – verjähren lässt.

Nach dem aktuellen Ungleichheitsbericht von Oxfam wuchs 2024 das Vermögen von Milliardär*innen dreimal schneller als 2023: Im weltweiten Durchschnitt vergrößerte es sich um zwei Millionen US-Dollar pro Tag und Person. In Deutschland wuchs das Gesamtvermögen der Milliardär*innen um 26,8 Milliarden US-Dollar.

Das geltende Erbschaftsteuergesetz belohnt gerade hohe Erbschaften mit niedrigen Steuersätzen. Allein durch den Verzicht auf die Wiedereinführung der seit 1997 ausgesetzte Vermögensteuer entgehen dem Staat laut Oxfam mehr als 30 Milliarden Euro jährlich.

Offensichtlich fehlt es an einer Politik, die Einkommen und Vermögen angemessen besteuert. Denn eigentlich wäre genug Geld da.

Wie viele Krankenhäuser und Schulen ließen sich mit dem Geld sanieren, dass der Gesellschaft so entgeht, wie viele Sozialwohnungen bauen, wie viele Pflegekräfte, Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen einstellen? Es ließen sich Krankenkassen- und Rentenbeiträge senken, die Anpassung an den Klimawandel finanzieren…

Aber offenkundig ist das mehrheitlich politisch nicht gewollt. Alles spricht dafür, dass freiwerdende Mittel wie gehabt nach Oben umverteilt werden sollen. Dies zeigt auch ein Blick in diverse Parteiprogramme für die anstehende Bundestagswahl.

Wer Steuererleichterungen in Aussicht stellt – wie die Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags oder gar die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags – und gleichzeitig auf die zusätzliche Besteuerung sehr hoher Einkommen und Vermögen verzichtet, hat nicht die Interessen der Normalverdiener*innen im Sinn. Im Gegenteil sollen unter der Behauptung, „die Mitte“ zu entlasten, die Steuerprivilegien der Überreichen erhalten und ausgebaut werden.

Je höher das Einkommen, umso mehr bringt der Steuerfreibetrag. Menschen mit mittleren Einkommen erhalten wenig, Menschen mit niedrigem Einkommen erhalten nichts.

Statt die Umverteilung von unten nach oben zu stoppen und umzudrehen, stimmen Vertreter*innen nicht nur einer Partei lieber in den Chor derjenigen ein, die Ängste vor einer angeblichen Überfremdung und Wut auf „Faulenzer“ schüren.

Diese Politik, die Menschenrechte missachtet, hetzt, ausgrenzt und Angst und Ohnmacht schürt, bringt selbst die Gewalt hervor, die sie angeblich bekämpft.

Zudem ist es mitnichten so, dass für die „Mitte der Gesellschaft“ automatisch mehr Geld da ist, mehr Wohnungen gebaut werden, es mehr Kitaplätze gibt, wenn weniger Geflüchtete ins Land kommen und weniger Geld an Bürgergeldempfänger*innen fließt.

Statt sich mit billigen Politshows und mit falschen Versprechungen zufrieden zu geben, während die Probleme immer weiter wachsen, sollten wir uns besser mit der Lösung der Probleme befassen.

Es ist Zeit, den Blick auf die viel zu einflussreichen Überreichen zu richten und ihre angemessene Beteiligung an den gesellschaftlichen Aufgaben einzufordern.

Es ist Zeit ihre politischen Vertreter*innen abzuwählen, zu denen nicht zuletzt die AfD gehört.

Es ist auch Zeit, unsere Ohnmacht zu überwinden. Und darüber nachzudenken, wie wir selbst mehr Einfluss erlangen darauf, wie wir leben, wie wir wohnen und arbeiten. Und wie wir das Gesundheitswesen, den Wohnungsbau, die Energieversorgung… privaten Profitinteressen wieder entziehen können.

 


Ein Kommentar von Petra Stanius (Oberhausen, Mitglied im Bündnis für ein Gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen)

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