Stellungnahme des Bündnisses für ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen vom 04. September 2024
Seit Beginn der Krankenhausreform in NRW beruhigt der zuständige Minister, Herr Laumann, die Menschen im größten deutschen Bundesland:
Nicht jedes Krankenhaus müsse „alles machen“, einen “Kahlschlag” werde es mit ihm jedoch nicht geben. Eine „Zentralisierung mit Augenmaß“ wurde versprochen, im Gegensatz zur „Zentralisierung ohne Augenmaß“ nach dänischem Vorbild, die der Bundesgesundheitsminister anstrebt.
Das Zwischenergebnis der Reform sieht leider anders aus: Sie richtet sich nicht gegen die geheimnisvollen „kleinen, schlechten Krankenhäuser um die Ecke“, die niemand kennt und die doch die Reform befeuern, sondern gegen große leistungsfähige kardiologische Interventionszentren, Endoprothetikzentren, Gefäßzentren, Thoraxchirurgien und Perinataleinrichtungen. Sie sollen schließen und noch größeren Zentren weichen. Damit verbunden ist die nicht auf Fakten gestützte Hoffnung, Kosten und Personal einzusparen.
Entgegen allen Ankündigungen, die Versorgung aller Bürger*innen in NRW gleichwertig sicherzustellen, kristallisieren sich nun Versorgungsmängel in einigen Städten und Kreisen heraus, während sich teilweise in Großstädten eine unstrukturierte und medizinische kaum nachvollziehbare Verteilung von Leistungsgruppen offenbart, die die Ankündigung von Zentralisierung deutlich in Frage stellt.
Auf den letzten Metern der Reform nähert sich die nordrhein-westfälische Landesregierung der Bundespolitik, ganz so, als ob Herr Laumann die Position des Bundesgesundheitsministers bereits fest im Blick hätte.
Zur Darstellung der Versorgungsgebiete:
Das Versorgungsgebiet 3 (VG3) umfasst die Stadt Duisburg sowie den Kreis Wesel und den Kreis Kleve. Im Kreis Wesel befinden sich die rechtsrheinischen Städte Wesel, Dinslaken und Voerde sowie linksrheinisch Moers, Neukirchen-Vluyn, Kamp-Lintfort, Rheinberg und Xanten. In besonderem Maße wird die Entwicklung des Kreises jedoch durch seine Lage beiderseits des Rheins bestimmt, die nur eine Straßenbrücke bei Wesel verbindet. Der Kreis Kleve gliedert sich in 16 kreisangehörige Gemeinden, von denen fünf mittlere kreisangehörige Städte (Kleve, Emmerich, Geldern, Goch, Kalkar) sind.
Das Versorgungsgebiet 4 (VG4) umfasst Neuss und den Rhein-Kreis-Neuss, die Städte Krefeld und Mönchengladbach sowie den Kreis Viersen (Stadt Viersen, Nettetal und Kempen).
1 Rettungsdienstliche Versorgung:
Leistungsgruppen einer „Artverwandten Struktur“ wurden an vielen Häusern, welche bis jetzt alle Leistungsgruppen in der kardiologischen Versorgung, der endoprothetischen Versorgung, der neurologischen oder gynäkologisch-geburtshilflichen Versorgung vorgehalten haben, diese zu Teilen aberkannt.
So können Patient*innen bei bestimmten Erkrankungsbildern zwar an einem Standort primär versorgt werden, müssen zur kompletten Versorgung jedoch an ein anderes Haus verlegt werden. Dies geht mit Transporten über den Rettungsdienst einher, wodurch kranken Patient*innen lange Wege zugemutet werden und diese Rettungsmittel über deutlich längere Zeiten gebunden sind.
Der Kreis Wesel verbindet mit nur einer Brücke über den Rhein die beiden Teilbereiche des Kreises. Dies stellt bei zeitkritischen Notfällen einen gravierenden Versorgungsengpass dar, geschuldet der Tatsache – wie hier im Krankenhausplan geschehen – dass einige Leistungen nur auf einer Seite des Rheins im VG 3 angeboten werden. Ebenso sind die rechtsrheinischen Städte Emmerich und Rees durch eine einzige Straßenbrücke an das linksrheinische Kleve angebunden. Die Brücke ist seit Jahren unter Dauersanierung und wird bei schlechten Wetterverhältnissen und Sturm immer wieder gesperrt.
Dies führt zwangsläufig zu einer schlechteren Versorgung der Patient*innen und zu längeren Wartezeiten der Bürger*innen auf den Rettungsdienst im Notfall und somit zu einer deutlichen, teilweise kritischen Qualitätsverschlechterung im Versorgungsgebiet 3.
Besonders brisant stellt sich die Situation für die Notfallversorgung der rechtsrheinisch gelegenen Städte Emmerich und Rees dar.
2 Zeitkritische Versorgung:
a) Aneurysma der Bauchschlagader (BAA): die Behandlung von Erkrankungen der Bauchschlagader ist künftig im VG 3 nur noch in Duisburg, Moers, Wesel, Kevelaer und Kamp- Lintfort möglich. Der gesamte Flächenbereich Geldern, Xanten, Goch, Emmerich und Kleve kann künftig diese zeitkritische Erkrankung nicht mehr versorgen. Das bedeutet Lebensgefahr für die Betroffenen.
Im Versorgungsgebiet 4 wird ein*e Bürger*in aus dem Kreis Viersen, aus Grevenbroich, aus Dormagen oder Kempen bis in die Städte Neuss, Krefeld oder Mönchengladbach verbracht werden müssen, obwohl akute Lebensgefahr besteht, wenn die Bauchschlagader reißt.
b) Thoraxchirurgie, also die Behandlung von unfallbedingten Verletzungen des Brustkorbs und von Gefäßnotfällen geht mit einer Versorgungsverschlechterung einher. Diese Versorgung wird es in den Versorgungsgebieten 3 und 4 künftig nur noch in Duisburg, Neuss, Krefeld, Mönchengladbach und Moers geben.
Auch hier sind lange Transporte gefährlich. Patient*innen, welche meist eine sofortige Beatmung benötigen, werden in diesen lebensbedrohlichen Situationen durch die Lande transportiert. Kein*e Betroffene*r erhält unter diesen Umständen eine sichere und zeitnahe effektive Behandlung.
c) Perinatale Versorgung: Bereits seit vielen Jahren sehen wir mit großer Besorgnis, dass die Versorgung von Schwangeren, Neugeborenen, Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen stetig schlechter wird, da es immer weniger Krankenhäuser gibt, die diese Leistungsgruppen vorhalten (wollen). Leider wird auch dieser Krankenhausplan hieran nichts verändern.
Perinatale Zentren, egal welchen Levels, sind die einzige sicher Versorgungsoption für kritische Früh- und Neugeborene. Ein Transport dieser kritischen, kleinen Patient*innen birgt immer große Gefahren. Perianatalversorgungszentren des Level 1 (die kleinsten und kritischsten Frühgeborenen) werden im Versorgungsgebiet 3 nur noch in Duisburg und in Moers vorgehalten. Der gesamte Kreis Kleve sowie der nördliche Kreis Wesel dürfen kein entsprechendes Angebot mehr vorhalten. Gleiches gilt für die Perinatalzentren des Level 2.
Im VG 4 werden diese kritischen Neugeborenen nur noch jeweils in einem Krankenhaus in Neuss, Krefeld und Mönchengladbach versorgt. Alle anderen Krankenhäuser in diesem Flächenversorgungsgebiet stehen für diese Patient*innen nicht mehr zu Verfügung.
d) Schlaganfallversorgung: „Time is Brain“ ist eine wissenschaftlich belegte Aussage zu der Versorgung von Schlaganfallpatient*innen. Auch hier nimmt das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS NRW) keine Rücksicht auf die zeitkritische Versorgungsnotwendigkeit.
Im Versorgungsgebiet 3 findet man künftig in Duisburg zwei Stroke Units, in Moers eine, in Wesel eine, in Kevelaer und in der LVR-Klinik in Bedburg-Hau, die jedoch nach Kleve verlagert werden soll. Im Versorgungsgebiet 4 werden diese schwerkranken Patient*innen nur noch in insgesamt 4 Häusern versorgt – in Neuss, Krefeld, Mönchengladbach und Kempen.
Wie sich die Vergabe einer so essenziellen Leistungsgruppe, in einem Bundesland mit einer zunehmenden Demographie begründet, ist aus ethisch und medizinischer Sicht nicht nachvollziehbar.
3 Altersmedizin:
Leider wird entgegen aller Aussagen aus dem MAGS auch deutlich zu wenig Rücksicht auf die sich weiter verschärfende Demographie genommen.
Betrachtet man die Zuweisung der Leistungsgruppe „allgemeine Neurologie“, „Stroke Unit“, „Frührehabilitation“ und Geriatrie“ in den beiden Versorgungsgebieten, so stellt man fest, dass die medizinische Verbindung bei diesen Leistungsgruppen nicht bei der Vergabe berücksichtigt wurde. Zwar halten alle Städte und Kreise eine Versorgung vor, jedoch findet man in vielen Häusern ausschließlich eine Geriatrie und in anderen Häusern ausschließlich eine allg. Neurologie.
Gleiches gilt für die neurologische Frühreha. Es gibt Krankenhäuser die versorgen künftig die allgemeine Neurologie haben aber weder eine Stroke Unit, noch eine Frührehabilitation. Es gibt Häuser die verbinden allgemeine Neurologie und Stroke Unit es fehlt aber die Frührehabilitation. Es gibt viel Häuser mit einer Geriatrie, aber selten sind diese Abteilungen mit der allgemeinen Neurologie, einer Stroke Unit oder einer Frühreha verknüpft.
In Summe gibt es künftig nur noch zwei Krankenhäuser in den beiden Versorgungsgebieten, welche alle 4 Leistungsgruppen vorhalten und somit tatsächlich eine sinnvolle altersmedizinische Expertise ausweisen. Das Sana Klinikum Duisburg und das St. Josef Krankenhaus in Moers.
Wenn ein Krankenhausplan kurze Wege, qualitativ, hochwertige und sichere Versorgung verspricht, dann muss die Frage erlaubt sein, warum an so vielen Leistungsgruppen eine Vergabe erfolgt, die keine medizinische Kompetenz widerspiegelt, aber vor allem den Menschen mit seinen Bedürfnissen in seinem Krankheitsbild komplett außer Acht lässt.
Das hat weder etwas mit Zentralisierung, schneller medizinischen Versorgung noch mit Qualitätssteigerung zu tun. Sicher ist aber, dass die Kosten steigen werden!
4 Endoprothetische Versorgung:
Im Bereich der Endoprothetik sollen ausgerechnet die großen Kliniken und die Maximalversorger von dieser Versorgung teilweise ausgeschlossen werden. Die Begründung des Ministeriums, es handle sich “weitestgehend um planbare Eingriffe”, trifft nicht zu. Etwa jeder vierte Eingriff ist unfallbedingt.
Selbst wenn die Einschränkung des MAGS – „Notfälle dürfen natürlich versorgt werden“ – immer wieder beschworen wird, fragt man sich, wo dann die Qualitätsoffensive bleibt. Nur Operateur*innen, welche bei geplanten Eingriffen gut ausgebildet werden, können diese auch im Notfalle qualitativ hochwertig versorgen.
Insgesamt fallen in den Versorgungsgebieten künftig 10 Krankenhäuser aus der kompletten endoprothetischen Versorgung weg. Allein in der Stadt Duisburg sind es 4 der bis jetzt versorgenden 6 Krankenhäuser. Bei 7 Krankenhäusern wird nur noch eine der insgesamt 5 Leistungsgruppen zugewiesen. Vielen Häusern werden einige Leistungsgruppen aberkannt.
In keinem anderen Bereich wurden so viele Leistungsgruppen aberkannt, wie in der Endoprothetik. Die medizinische logische Entscheidung zu dieser Vergabe ist jedoch nicht nachvollziehbar. Denn alle diese Häuser halten bis jetzt (und müssen dies auch künftig) teures und spezialisiertes Equipment und entsprechend ausgebildetes Personal vor – selbst, wenn sie nur noch einen Teil dieser Leistungsgruppen zugewiesen bekommen.
Der Zentralisierungsgedanke, wie vom Ministerium propagiert, ist hier nicht ersichtlich. Die Zuweisung der Leistungsgruppen mutet eher wie ein zufälliges Würfeln an.
Wenn die Leistungsgruppen jedoch gezielt so vergeben wurden, dann wird offensichtlich, dass der Plan des MAGS darauf abzielt Abteilungen/Krankenhäuser zu schließen.
Wer in Leistungsbereichen mit hoher Kostenvorhaltung und hoher Personaldecke künftig nur noch einzelne Leistungsgruppen behandeln darf, wird trotzdem das Personal, die Medizintechnik und Geräte vorhalten müssen. Kosten und Umsatz werden dann in Schieflage geraten und am Ende steht die Schließung der Abteilung oder des Krankenhauses.
5 Kardiologische Versorgung:
Hier zeigt sich das gleiche Bild wie in der Endoprothetik: Nicht nachvollziehbare Verteilung der Leistungsgruppen, Aberkennung von Leistungsgruppen bei Maximalversorgern, bei gleichbleibender Kostenstruktur.
Wie erklärt ein Ministerium, das eine Krankenhausplan mit den Prämissen „Zentralisierung, Ambulantisierung und Qualitätssteigerung“ durchsetzen will, erklären, dass ein Versorgungsgebiet 3 insgesamt 18 Linksherzkatheterlabore vorhält und nach jetziger Planung lediglich 4 schließen müssen – bei zwei dieser Abteilungen jedoch ganze Städte (Dinslaken und Xanten) künftig überhaupt keine kardiologische Versorgung mehr anbieten werden?
Im Versorgungsgebiet 4 stehen – noch – 11 Linksherzkatheterlabore zu Verfügung. Nach jetziger Planung wird eine Abteilung geschlossen werden, aber viele andere werden künftig nur noch eine von drei Leistungsgruppen anbieten dürfen.
Auch hier wird offensichtlich der Kostendruck erhöht, Patient*innenbedürfnisse aber nicht berücksichtigt. Es werden zukünftig viele Betroffene zwar an einem Standort primär versorgt werden können, aber zur endgültigen, abschließenden Versorgung muss ein Transport in ein anderes Haus erfolgen. Mit Qualitätssteigerung ist das aus medizinischer Sicht sicherlich nicht vereinbar.
6 Ausbildungsqualität für künftige Qualitätssteigerung und Sicherung:
Nicht bedacht wurde vom MAGS, dass es bei dieser Verteilung von Leistungsgruppen zu einer massiven Schwächung der Ausbildungsqualität in allen medizinischen Bereichen kommen wird.
Ärzt*innen in Weiterbildung werden künftig nur noch die Krankenhäuser und Kliniken aufsuchen, die ihnen weitestgehend alle Strukturen für eine qualitative Weiterbildung anbieten. Gleiches gilt für die nichtärztlichen Berufe in der Daseinsvorsorge. Der Personalmangel wird sich also an vielen Häusern noch massiv verstärken.
Die Folgen allein aus diesem Grund werden Bettenschließungen aus Personalmangel, Wartelisten für Hilfesuchende, Umsatzverluste für Krankenhäuser sein. Das wiederum, wird zu Krankenhausschließungen führen. Die qualitative Versorgung wird schlechter, die zeitgerechte (Notfall-)Versorgung nicht mehr umsetzbar, Rettungsdienste werden logistisch und personell dekompensieren.
Das Fazit aus dieser Krankenhausplanung ist mehr als ernüchternd:
„Die Strukturen müssen für die Menschen da sein, nicht die Menschen für die Strukturen“ ist das große Zitat von Minister Laumann. „Jeder Bürger soll innerhalb von 20 Minuten ein Krankenhaus zur Erstversorgung erreichen“, lautet ein weiteres Zitat.
Weniger Qualität, deutlich teurer und lange Wege, welche die Gesundheit gefährden und teilweise zu lebensbedrohlichen Situationen führen werden, ist das Ergebnis der Reform für das Versorgungsgebiet 3 und 4.
Wir fordern:
Das Krankenhauswesen muss regional und demokratisch geplant werden, unter Beteiligung der Menschen, die die Krankenhausarbeit leisten, ihrer gewählten Vertretungen und ihrer Gewerkschaften, unter Einbeziehung der Rettungsdienste, der Pflegeheime, ambulanten Pflegedienste, niedergelassenen Ärzt*innen und weiteren ambulanten Einrichtungen und ihrer Beschäftigten. Nur so kann eine sektorenübergreifende Planung tatsächlich in Gang gebracht werden, die ihren Namen dann auch verdient.
Die Erstellung der regionalen Planungskonzepte sollte eine kommunale oder regionale Aufgabe werden, die von Stadträten und Kreistagen oder eigens dafür zu gründenden, demokratisch legitimierten regionalen Gremien wahrgenommen werden könnte.
Eine demokratische Planung sollte Flächendeckung und Qualitätssteigerung miteinander verbinden, so wie es in vielen bisher noch freiwilligen Herzinfarkt-, Schlaganfall- oder Traumanetzwerken bereits praktiziert wird.
Grundsätzlich muss sichergestellt sein, dass ein Abbau oder Umbau von Krankenhausstrukturen erst dann erfolgen kann und darf, wenn entsprechende Strukturen im ambulanten Bereich existieren und arbeiten. Was zuallererst fehlt sind rund um die Uhr besetzte ambulante Notfallzentren unter öffentlicher Regie. In vielen Fällen bietet es sich an, dass bestehende Krankenhäuser diese Funktion übernehmen und für die ambulante Versorgung geöffnet werden. Seit Jahrzehnten ist es so, dass auch in einem strikt getrennten System wie in Deutschland die Patient*innen instinktiv zur Krankenhausambulanz gehen. Sie stimmen mit den Füßen ab, jeden Tag. Diese Abstimmung ist durch die Politik anzuerkennen. Dazu ist es notwendig, die Krankenhäuser für die ambulante und für die Notfallversorgung zu öffnen und die notwendigen Investitionskosten durch die Länder bereitzustellen.
_____________________________
Stellungnahme als PDF-Download
Unsere Einschätzungen zu den Versorgungsgebieten 1&2 bzw. 5&6 finden sich hier.