Stellungnahme des Bündnisses für ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen vom 05. August 2024

Die Versorgungsgebiete 1 und 2 sind flächenmäßig vergleichsweise klein, zählen aber dafür zu den am dichtesten besiedelten Regionen von NRW.

Das Versorgungsgebiet 1 (VG 1) umfasst die Städte Düsseldorf, Remscheid, Solingen und Wuppertal, sowie den Kreis Mettmann. Der Kreis Mettmann ist nach Einwohnerzahl der achtgrößte in Deutschland und nach Fläche der siebtkleinste, die Bevölkerungsdichte ist die höchste aller Landkreise in Deutschland. Das Versorgungsgebiet 2 (VG 2) besteht aus den Städten Essen, Oberhausen und Mühlheim an der Ruhr.

Entgegen allen Ankündigungen, die Versorgung aller Bürger*innen in NRW gleichwertig sicherzustellen, kristallisieren sich nun Versorgungsmängel in einigen Städten und Kreisen heraus, während sich teilweise in Großstädten eine unstrukturierte und medizinische kaum nachvollziehbare Verteilung von Leistungsgruppen offenbart, die die Ankündigung von Zentralisierung deutlich in Frage stellt.

1 Rettungsdienstliche Versorgung:

Durch den Wegfall von 3 zentralen Notaufnahmen im Kreis Mettmann (eine vierte in Langenfeld wird folgen) kommt es zu deutlich verlängerten Fahrzeiten und damit zu verlängerter Bindung der Rettungsmittel. Die Transportzeiten haben sich im Mittel auf 30-40 Minuten pro Fall erhöht: Dies führt zwangsläufig zu einer schlechteren Versorgung der Patient*innen und zu längeren Wartezeiten der Bürger*innen auf den Rettungsdienst im Notfall und somit zu einer Qualitätsverschlechterung im Versorgungsgebiet 1.

Im Versorgungsgebiet 2 wird es zu den gleichen Versorgungsmängeln kommen, wie im VG 1, allerdings liegen hier die Gründe an anderer Stelle. Die Vergabe der Leistungsgruppen sorgt hier für eine deutliche Unterversorgung der Stadt Mühlheim in einigen Bereichen und für eine Unterversorgung der Stadt Oberhausen.

Gleichzeitig wurden die Leistungsgruppen einer „Artverwandten Struktur“ teilweise aberkannt, sodass Patient*innen bei bestimmten Erkrankungsbildern zwar an einem Standort primär versorgt werden können, zur kompletten Versorgung jedoch an ein anders Haus verlegt werden müssen.

2 Zeitkritische Versorgung:

a) Aneurysma der Bauchschlagader (BAA): die Behandlung von Erkrankungen der Bauchschlagader ist künftig im VG 1 nur noch in Düsseldorf, Wuppertal, Solingen und Remscheid möglich. Der gesamte Kreis Mettmann kann künftig diese zeitkritische Erkrankung nicht mehr versorgen. Das bedeutet Lebensgefahr für die Betroffenen. Im Versorgungsgebiet 2 wird ein Mühlheimer Bürger bei einem BAA nach Essen oder Oberhausen verbracht werden müssen, obwohl akute Lebensgefahr besteht, wenn die Bauchschlagader reißt.

b) Thoraxchirurgie, also auch die Behandlung von unfallbedingten Verletzungen des Brustkorbs und von Gefäßnotfällen geht mit einer Versorgungsverschlechterung Diese wird es künftig nur noch in Essen, Düsseldorf und Wuppertal geben.

Auch hier sind Transporte gefährlich, lange Wege sowieso und bei den meisten dieser thoraxchirurgischen Verletzungen ist eine sofortige Beatmung notwendig. Kein*e Patient*in mit so kritischen Verletzungen benötigt da noch lange Wege.

c) Perinatale Versorgung: Bereits seit vielen Jahren sehen wir mit großer Besorgnis, dass die Versorgung von Schwangeren, Neugeborenen, Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen stetig schlechter wird, da es immer weniger Krankenhäuser gibt, die diese Leistungsgruppen vorhalten (wollen). Leider wird auch dieser Krankenhausplan hieran nichts verändern.

Perinatale Zentren, egal welchen Levels, sind die einzige sicher Versorgungsoption für kritische Früh- und Neugeborene. Künftig wird diese Versorgung im VG 1 nur noch in Düsseldorf und Wuppertal vorgehalten – weder Remscheid noch Solingen noch der Kreis Mettmann stehen dafür zu Verfügung. Im VG 2 halten zwar alle drei Städte eine perinatale Versorgung vor, jedoch mit deutlich reduzierter Fallzahl.

d) Schlaganfallversorgung: „Time is Brain“ ist eine wissenschaftlich belegte Aussage zu der Versorgung von Schlaganfallpatient*innen. Auch hier nimmt das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS NRW) keine Rücksicht auf die zeitkritische Versorgungsnotwendigkeit. Zwar werden in allen Städten und Kreisen der Versorgungsgebiete, sogenannte Stroke Units, vorgehalten, diese jedoch in einer deutlich reduzierten Anzahl an Fällen.

3 Altersmedizin:

Leider wird entgegen aller Aussagen aus dem MAGS auch deutlich zu wenig Rücksicht auf die sich weiter verschärfende Demographie genommen.

Betrachtet man die Zuweisung der Leistungsgruppe „allg. Neurologie“ und Geriatrie“ in den beiden Versorgungsgebieten, so stellt man fest, dass zwar alle Städte und Kreise eine Versorgung vorhalten, jedoch wurde insgesamt 7 Krankenhäusern die Leistungsgruppe „Geriatrie“ und zwei Krankenhäusern die Versorgungsgruppe „allgemeine Neurologie“ aberkannt.

4 Endoprothetische Versorgung:

Im Bereich der Endoprothetik sollen ausgerechnet die großen kommunalen Kliniken und die universitären Strukturen von der Versorgung teilweise ausgeschlossen werden. Die Begründung des Ministeriums, es handle sich “weitestgehend um planbare Eingriffe”, trifft nicht zu. Etwa jeder vierte Eingriff ist unfallbedingt.

Selbst wenn die Einschränkung des MAGS „Notfälle dürfen natürlich versorgt werden“ immer wieder beschworen wird, fragt man sich, wo dann die Qualitätsoffensive bleibt. Nur Operateur*innen, welche bei geplanten Eingriffen gut ausgebildet werden, können diese auch im Notfalle qualitativ hochwertig versorgen.

Insgesamt fallen in den Versorgungsgebieten künftig 7 Krankenhäuser aus der kompletten endoprothetischen Versorgung weg. Bei 7 Krankenhäusern (auch der Uni Düsseldorf) wird nur noch eine der insgesamt 5 Leistungsgruppen zugewiesen. Vielen Häusern werden einige Leistungsgruppen aberkannt.

Die medizinische logische Entscheidung zu dieser Vergabe ist nicht nachvollziehbar. Denn alle diese Häuser halten bis jetzt- und müssen auch künftig teures und spezialisierte Equipment vorhalten – selbst wenn sie nur noch eine kleinen Teil dieser Leistungsgruppen zugewiesen bekommen.

Der Zentralisierungsgedanke, so wie vom Ministerium propagiert, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die Zuweisung der Leistungsgruppen mutet eher wie ein zufälliges Würfeln an.

5 Kardiologische Versorgung:

Hier zeigt sich das gleiche Bild wie in der Endoprothetik: Nicht nachvollziehbare Verteilung der Leistungsgruppen, Aberkennung von Leistungsgruppen bei Maximalversorgern, bei gleichbleibender Kostenstruktur.

Nicht bedacht wurde vom MAGS, dass es bei dieser Verteilung von Leistungsgruppen zu einer massiven Schwächung der Ausbildungsqualität in allen medizinischen Bereichen kommen wird. Ärzte in Weiterbildung werden künftig nur noch die Krankenhäuser und Kliniken aufsuchen, die ihnen weitestgehend alle Strukturen für eine qualitative Weiterbildung anbieten. Gleiches gilt für die nichtärztlichen Berufe in der Daseinsvorsorge. Der Personalmangel wird sich also an vielen Häusern noch verstärken.

Das Fazit aus dieser Krankenhausplanung ist mehr als ernüchternd:

Die Strukturen müssen für die Menschen da sein, nicht die Menschen für die Strukturen“ ist das große Zitat von Minister Laumann. „Jeder Bürger soll innerhalb von 20 Minuten ein Krankenhaus zu Erstversorgung erreichen“, lautet ein weiteres Zitat.

Weniger Qualität, deutlich teurer und lange Wege, die die Gesundheit gefährden und teilweise zu lebensbedrohlichen Situationen führen werden, wäre das Ergebnis der Reform für das Versorgungsgebiet 1 und 2.

Wir fordern:

Diese Reform muss gestoppt werden! Das Krankenhauswesen muss regional und demokratisch geplant werden, unter Beteiligung der Menschen, die die Krankenhausarbeit leisten, ihrer gewählten Vertretungen und ihrer Gewerkschaften, unter Einbeziehung der Rettungsdienste, der Pflegeheime, ambulanten Pflegedienste, niedergelassenen Ärzt*innen und weiteren ambulanten Einrichtungen und ihrer Beschäftigten. Nur sie können eine sektorenübergreifende Planung tatsächlich in Gang bringen.

Die Erstellung der regionalen Planungskonzepte sollte eine kommunale oder regionale Aufgabe werden, die von Stadträten und Kreistagen oder eigens dafür zu gründenden, demokratisch legitimierten regionalen Gremien wahrgenommen werden könnte.

Eine demokratische Planung sollte Flächendeckung und Qualitätssteigerung miteinander verbinden, so wie es in vielen bisher noch freiwilligen Herzinfarkt-, Schlaganfall- oder Traumanetzwerken bereits praktiziert wird.

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