Die Elternorganisation Mother Hood e.V. rechnet im Jahr 2024 mit vier Prozent weniger Geburtsstationen. Die damit verbundenen Versorgungsprobleme gehen zu Lasten der Familiengesundheit. Die verbleibenden Kliniken müssen dringend gegensteuern, um die Nachteile von Kreißsaalschließungen auszugleichen. Der Verein veröffentlicht in seiner Stellungnahme konkrete Forderungen für die klinische Praxis.
Bonn, 24. September 2024. Die seit Jahren andauernde Welle an Schließungen von Geburtsstationen ebbt nicht ab und wird Schätzungen zufolge in 2024 ein neues Hoch erreichen. “Das Aus von noch mehr Kreißsälen wird die Versorgung von Schwangeren weiter verschlechtern”, sagt Katharina Desery von der Elternorganisation Mother Hood e. V. Kliniken müssten endlich gegensteuern. Der Verein schlägt in einer Stellungnahme Maßnahmen für fünf Handlungsfelder vor.
Bis einschließlich September 2024 haben bundesweit bereits weitere 22 Geburtsstationen geschlossen oder ihre Schließung für dieses Jahr bekannt gegeben. Bis zum Ende des Jahres rechnet Mother Hood e. V. mit circa 25 neu geschlossenen Geburtsstationen, so viel wie noch nie in Deutschland innerhalb eines Jahres. Das wären rund 4 Prozent der aktuell knapp 600 Geburtsstationen*. Der Verein sieht die gehäuften Schließungen unter anderem als Folge der anstehenden Krankenhausreform und dem damit verbundenen Ziel von weniger Geburtsstationen.
Folge der Schließungen: Die Versorgungsqualität leidet
Die Folgen der aktuellen Entwicklung sind gravierend für Schwangere, Gebärende und ihre Familien: weniger Wahlmöglichkeiten, mehr Überlastung und weniger Qualität in der Versorgung. Deshalb entpuppt sich bei näherem Hinsehen die Entwicklung hin zu weniger Geburtskliniken zu einem Gesundheitsrisiko für Schwangere, Gebärende, Kinder und Familien.
Für die Verschlechterung der Versorgungsqualität sind im Wesentlichen zwei Gründe verantwortlich. Zum einen steigt mit mehr Geburten in den verbleibenden Kliniken die Gefahr von Überlastung. Hebammen oder Gynäkologinnen müssen zu viele Geburten gleichzeitig betreuen und können problematische Geburtsverläufe von Mutter und ungeborenem Kind übersehen.
Zum anderen reduzieren Kreißsaalschließungen das geburtshilfliche Angebot. Nicht alle der aktuell knapp 600 Geburtskliniken bieten die gleiche Qualität. Die Versorgung von Klinik zu Klinik kann sich enorm unterscheiden. So arbeiten nicht alle Kreißsaalteams nach den Empfehlungen der medizinischen Leitlinie “Vaginale Geburt am Termin”, die das Ziel hat, eine sichere und frauzentrierte Geburtshilfe zu realisieren. Dabei stellt dies aus Sicht von Mother Hood e. V. die Minimalanforderung für eine gute geburtshilfliche Begleitung dar. Weitere Beispiele sind die Begleitung von vaginalen Geburten in Beckenendlage oder nach vorangegangenem Kaiserschnitt, die Schwangere nicht überall vorfinden. Auch Geburtsstationen mit Hebammenkreißsaal sind nicht sicher vor Schließungen.
Appell an Kliniken und Politik: Qualitätsoffensive in der Geburtshilfe dringend nötig
Alle Kliniken müssen daher eine qualitativ hochwertige, frauzentrierte und diskriminierungsfreie Versorgung rund um die Geburt sicherstellen, so wie es das Nationale Gesundheitsziel Gesundheit rund um die Geburt (NGZG) empfiehlt.
Maßnahmen für eine bessere Geburtshilfe
Das Betreuungskonzept einer frauzentrierten Geburtshilfe erfordert die Mitwirkung der geburtshilflich arbeitenden Berufsgruppen, insbesondere von Hebammen sowie Gynäkologinnen und Gynäkologen, von Pflegedienst- und nicht zuletzt den Klinikleitungen.
Mother Hood e. V. fordert Maßnahmen für fünf Handlungsfelder, deren Umsetzung im Klinikalltag eine frauzentrierte Versorgung unterstützt:
- Selbstbestimmung und Rechte von Schwangeren und Gebärenden wahren
Gebärende müssen die Möglichkeit haben, selbstbestimmte Entscheidungen während der Geburt zu treffen. Dazu gehört auch die Beachtung des Patientenrechtegesetzes.
- Medizinische Leitlinien in der Klinikpraxis umsetzen
Medizinische Leitlinien sollen Qualität in der gesundheitlichen Versorgung sicherstellen. Ihre Umsetzung ist auch im Bereich der geburtshilflichen Versorgung wichtig. Es gibt aktuell mehrere Leitlinien rund um die Geburt, insbesondere die beiden S3-Leitlinien “Vaginale Geburt am Termin” (2021) sowie “Sectio Caesarea” (Kaiserschnittgeburt, 2020).
- Breites Spektrum geburtshilflicher und nachgeburtlicher Angebote realisieren
Jede Geburtsstation muss über ein breites Spektrum an geburtshilflichen Angeboten verfügen, um möglichst vielen Bedürfnissen bestmöglich zu begegnen. Zum Beispiel interventionsarme Geburten im Hebammenkreißsaal oder die Begleitung von Geburten in Beckenendlage.
- Bindungsaufbau und Stillen bei gesunden und kranken Neugeborenen sowie Frühgeborenen fördern
Eine stabile Mutter-Kind-Bindung wirkt sich positiv und langfristig auf die Gesundheit aus. Mütter und Elternteile, die stillen möchten, erhalten eine umfassende Stillunterstützung. Best Practice Beispiele sind hier Unterstützung nach dem WHO/UNICEF-Zertifikat “Babyfreundlich” und Stillberatung nach IBCLC-Kriterien.
- Befragung zur Geburtserfahrung und Schulungen in traumasensibler Betreuung
Geburtskliniken befragen Mütter standardisiert nach ihren Erfahrungen mit der geburtshilflichen Versorgung. Die Ergebnisse werden im interdisziplinären Team ausgewertet und fließen in die regelmäßig stattfindenden Schulungen in traumasensibler Betreuung ein.
Es gibt bereits Kliniken, die die geforderten Maßnahmen in ihrer Geburtshilfe umsetzen. Sie zeigen, dass eine frauzentrierte Geburtshilfe grundsätzlich möglich ist. Wenn sich Eltern künftig nicht mehr für “die bessere” Klinik entscheiden können, ist es an der Zeit, dass alle Geburtsstationen besser werden!
*) IGES S. 79. Das Gutachten vermerkt für das Jahr 2018 682 Krankenhausstandorte mit Geburtsstationen. Mother Hood zählt seit 2019 rund 80 geschlossene Geburtsabteilungen.